Buenos Aires

26.11.2019 Mendoza – Rio Cuarto

Die letzten 1.200 km bis Buenos Aires. Wir sind völlig hin und hergerissen. Zwischen Freude über die unglaublichen Erlebnisse der letzten acht Monate und Trauer über das nahende Ende. Die Reise hat uns stark gemacht. Wir haben jede Situation und jede Straße gemeistert, haben Spanisch gelernt und wie wir uns mit den Motorrädern durch die Wildnis schlagen. Und jedes mal wenn wir von unseren Reiseplänen erzählt haben, endete die Geschichte mit den Worten “… und dann fahren wir von Mendoza nach Buenos Aires”. Das ist jetzt.

Raus aus Mendoza geht es kilometerlang vorbei an Weinbergen. Das Valle de Uco im Süden Mendozas hat uns besser gefallen. Hatte mehr Stimmung. Danach überrascht uns das üppige grüne Weideland. Nach der endlosen braunen Steppe des Südens ein erfreulicher Anblick. Ansonsten hat dieser Teil Argentiniens nicht viel Sehenswertes zu bieten. Bis Rio Cuarto sind es ca. vier Stunden, das ist anderthalb mal die Spotify Playliste. In Rio Cuarto bleiben wir einfach im Hotel und unternehmen nichts, keine Lust. Die Stimmung ist eher so durchwachsen.

27.11.2019 Rio Cuarto – Rosario

Neuer Tag, gleiches Spiel. Fünf lange Stunden sitzen wir im Sattel nach Rosario, unserem letzten Stopp auf dem Weg nach Buenos Aires. Immerhin hat die hübsche Stadt einen gewissen Charme. Aber leider findet man, wie überall in Argentinien, vor 20 Uhr nichts zu essen. Wir haben einen Bärenhunger und unsere Laune ist an einem Tiefpunkt angelangt. Andre will in einen McDonalds, Karin besteht auf ein Café. Wir laufen 10 Blocks dorthin aber es gibt nur ungenießbaren Süßkram. Das war zuviel. Wir zoffen uns auf offener Straße. Schweigend gehen wir zu unserem AirBnb zurück.

Irgendwas muss man ja essen, aber auch das im Reiseführer angepriesene beste Restaurant hilft nichts, denn es entpuppt sich als Massenabfertigung für argentinische Großfamilien. Denen scheint es zu schmecken. Leider ist Vegetarismus in Lateinamerika keine Alternative. Besser wären wir in die Kneipe Stuttgart gegangen.

28.11.2019 Rosario – Buenos Aires

Heute also die letzte Etappe unserer Reise. Wir kippen die Ersatzkanister mit dem guten Benzin aus Vancouver in den Tank, es war für uns mehr Glücksbringer als Retter in der Not. Für öde und endlos erscheinende Etappen hat jeder von uns seine eigene Taktik entwickelt. Kleine psychologische Tricks, wie wir uns die verbleibenden Kilometer auf dem Tacho schön reden können. Jetzt wünschen wir uns, sie würden nie weniger werden. Aber die Anzeige ist unerbittlich und vier Stunden später erreichen wir Buenos Aires und wissen nicht, ob wir lachen oder heulen sollen. Als wir vor acht Monaten in Vancouver ankamen, kam es uns völlig absurd vor zu behaupten, wir würden auch Buenos Aires fahren. Nach 32.000 km, 15 Ländern, 3 Sätzen Reifen und einem kleinen Umweg über Patagonien, sind wir an unserem Ziel angekommen. Was für ein Abenteuer.

29.11. – 5.12.2019 Buenos Aires

Immer noch ungläubig wie unsere Reise so schnell vorbei gehen konnte, lassen wir es in Buenos Aires langsam angehen und richten uns in einem kleinen Appartement ein. Selbst so normale Dinge wie Einkaufen und Wäsche waschen fühlen sich nach dem Nomadenleben der letzten Wochen fremd an. Bei frühsommerlichen Temperaturen erkunden wir unser Viertel Recoleta, erfreuen uns an zahlreichen Parks, pompösen Denkmälern und den prächtigen Gebäuden und Boulevards. Ein Highlight ist der Friedhof La Recoleta. Stundenlang streifen wir durch die schmalen Gänge und bestaunen die opulenten Grabstätten, die Geschichten vergangener Zeiten und ihrer Bewohner erzählen. Eine weitere Station auf dem Touristenprogramm ist das Café La Bela, das sich mit schlecht gelaunten Obern und teurem Kaffee leider als Touristennepp herausstellt. Ganz im Gegensatz zur weltbekannten Buchhandlung El Ateneo. Es könnte keine bessere Kulisse für Bücher geben, als dieses prunkvolle ehemalige Theater. Ein wahrer Tempel für Literaturliebhaber.

Von Antoine bekamen wir den Tipp für die derzeitigen Polo Meisterschaften in Buenos Aires. Polo verbinden wir mit dem Sehen-und-Gesehen-werden der Reichen und Schönen. Hier in Argentinien ist es Volkssport. Bei strahlend blauem Himmel und vor der Großstadtszenerie werden wir ein Teil dieses Spektakels. Mit Kind und Kegel und der allgegenwärtigen Mateteekanne unter dem Arm, pilgern die Porteños ins Stadion mitten in der Stadt und feuern mit großem Eifer ihre Mannschaft an. Es ist ein rasanter Sport, der Ross und Reiter viel Geschick abverlangt.

Nach diesem hitzigen Nachmittag kann es nur eine Lösung geben: Ceviche. Gut, dass der peruanische Gourmetkoch Gastón Acurio ein Restaurant in der Stadt betreibt. Mit zwei E-Rollern flitzen wir durch die Straßen Palermos. Karin sind die Dinger viel zu gefährlich und sie wünscht sich lieber ihr Motorrad zurück, Andre gefällts. Auf der Terrasse des La Mar genießen wir köstliche Leckereien und fragen uns nicht zum ersten Mal, ob wir wirklich nach Hause fliegen sollen. Dort erwartet uns nur grau nasses Winterwetter. Wir verscheuchen den Gedanken und trinken auf das schöne Leben.

Wieder ans Großstadtleben gewöhnt, können wir gar nicht genug davon bekommen. Und Buenos Aires hat einiges zu bieten. Die Plaza de Mayo ist das Herz der Stadt und besticht durch den rosafarbenen Präsidentenpalast, umgeben von Kathedrale und Rathaus. Von dort schlendern wir nach San Telmo. Mit seinen engen Straßen, dem Mercado, hübschen Cafés, einem lebendigen Straßenleben und Tango tanzenden Paaren auf den Plätzen, verströmt es einen ganz eigenen, gelassenen Charme. Doch wir müssen uns entscheiden. Besuchen wir heute Abend eine Tangoshow oder gehen wir ins vermeintlich beste Steakrestaurant Südamerikas. Argentinien ist für seine Steaks weltberühmt, aber bis jetzt haben wir nur viel Masse zu sehen bekommen und wenig Qualität. Die Entscheidung fällt leicht, wir fahren nach Palermo zu Don Julio.

Schon vor zwei Wochen war dort kein Tisch mehr zu reservieren. Stattdessen warb Don Julio auf der Webseite, einfach vorbeizukommen und es auf gut Glück zu versuchen. Wir sind früh dran, aber weder die Ersten noch die Einzigen. Eine große Traube fröhlicher Menschen steht mit Sektgläsern in der Hand vor dem Restaurant, drinnen und draußen ist jeder Platz belegt. Wir werden auf die Warteliste gesetzt und sollen in zwei Stunden wiederkommen. Zur Überbrückung lassen wir uns durch das Ausgehviertel treiben und versuchen unseren ersten Choripan. Von der argentinischen Variante der Bratwurst im Brötchen sind wir allerdings ziemlich enttäuscht. Ob das mit der argentinischen Küche und uns noch was wird?
Zwei Stunden später ist die Menschenmenge vor dem Lokal noch größer geworden. Wiederholtes Nachfragen führt schließlich zum Erfolg und wir werden nach drei Stunden in die heiligen Hallen des Steaktempels geführt. Rasch wird klar, hier geht es nicht um Pomp, sondern um die Sache. Und das ist Fleisch vom Allerfeinsten. Nur die opulente Weinkarte bereitet Andre kurz Kopfzerbrechen. Und dann haut es uns von den Socken. Simpel, aber perfekt und die reinste Geschmacksexplosion! Don Julio ist völlig zu recht auf Platz 4 der Latin America’s 50 Best Restaurants.

Heute steht eines der prächtigsten Gebäude der Stadt auf unserem Programm. Das Teatro Colón gilt als das drittbeste Opernhaus der Welt. Nicht nur der prächtige Bau und seine opulente Innengestaltung ist umwerfend, sondern auch die rein gestalterische Akkustik lässt die Besucher bei einer spontanen Kostprobe vor Ehrfurcht erstaunen. Schade, dass wir nur noch zwei Abende hier sein werden und wir keine Zeit für den Besuch einer Aufführung haben. Dies ist mal wieder einer der Momente, in denen wir uns versprechen wieder her zu kommen. Den restlichen Nachmittag verbringen wir auf dem Plaza de la Republica und im modernisierten Hafen, dem Puerto Madero. Zum Abschluss besuchen wir das Restaurant iLatina, das uns in sieben Gängen auf eine kulinarische Reise durch Lateinamerika nimmt. Und auch hier werden wir nicht enttäuscht. Wir schwelgen wehmütig in den Erinnerungen an Mexiko, Kolumbien, Ecuador, Peru und Argentinien, die die Gerichte in uns auslösen. Ach….

Den letzten Tag verbringt Andre vor dem Laptop, um unseren Blog auf Vordermann zu bringen, und Karin im Keller bei den Motorrädern. Mit Eimer und Lappen rückt sie dem Staub der Straße zu Leibe, denn der deutsche Zoll findet die Patina der patagonischen Steppe weniger romantisch als wir. Morgen bringen wir unsere treuen Begleiter zum Flughafen und schicken sie auf die Heimreise. Schon seit Wochen organisiert Karin den Rücktransport. Hoffen wir, dass es klappt. Air Canada hat wegen der Obstsaison schon abgewunken und Iberia leider nicht den zuverlässigsten Ruf. Irgendwann ist alles fertig gepackt und es gibt nichts mehr zu tun, außer … ein Essen im Mishiguene, das sich ebenfalls auf der Liste der Latin America’s 50 Best Restaurants befindet. Dem aufmerksamen Leser ist bestimmt nicht entgangen, dass für uns, neben dem Erleben der unglaublichen Natur, feines Essen zu den überraschendsten und emotionalsten Erlebnissen auf der Reise wurde. Und hier gäbe es noch so einiges zu entdecken.

Aber der heutige Abend im Mishiguene (was so viel wie todo loco, sprich total verrückt, bedeutet und uns mehr als passend für uns erscheint) ist einfach perfekt. Wir werden noch wochenlang von den außergewöhnlichen, israelischen Gerichten, dem Wein und dem Humus schwärmen. Glücklich schwanken wir durch die Nacht und freuen uns, dass es nicht der allerletzte Abend der Reise ist.