Huascarán

25.08.2019 Cañon del Pato – Llanganuco Laguna

Es ist so eine Sache mit den Erwartungen. Nicht viel erwarten und sich freuen, wenn das Wenige übertroffen wird, ist ein gängiges Muster und hilft gelegentlich. Für uns ist das heute keine Option. Unsere Erwartungen sind riesig, denn wir freuen uns sozusagen auf das Best-of der peruanischen Anden.

Das Spektakel beginnt mit dem Abzweig von der trostlosen Küstenautobahn in Richtung Cañon del Pato. Der Cañon ist rund 140 Kilometer lang und an der schmalsten Stelle nur 6m breit. 50 einspurige, aus dem Stein gehauene Tunnels führen von Meereshöhe auf 2.000m und mitten hinein in die Schweiz von Peru, dem Gebirgstal Callejón de Huaylas. Von dort nehmen wir eine Schotterpiste in den Nationalpark Huascarán und nachdem wir einem liegengebliebenen Käferfahrer mit unseren Reservesprit weitergeholfen haben, erreichen wir das Tagesziel, eine Wiese an der Laguna Llanganuco auf 3.800m Höhe.

Was für ein Tag, was für eine Natur. Wir können nur staunen, schweigen und genießen. Hier oben gibt es bei unserer Ankunft nur Jose, einen Bauer und 20 Esel. Sonst nichts. Mit Jose unterhalten wir uns etwas und erfahren, dass seine Tiere meistens das Gepäck von Trekkingtouristen über die Berge tragen. Er verzieht sich und hinterlässt seine Esel. Wir mögen Esel, sie strahlen Ruhe aus und sind friedliche Zeitgenossen. Mit der Ruhe ist es allerdings vorbei, wenn ein Campingkocher voller Reis, Tomaten und Thunfisch auf ihrer Wiese steht. Wir verteidigen unser Abendessen und wenden uns der Frage nach dem weiteren Streckenverlauf zu.

Zur Auswahl stehen: erstens die 30 Kilometer Schotterpiste wieder hinunter ins Tal und ab nach Lima oder zweitens den Llanganuco Pass mit 4.700m Höhe in Angriff nehmen und rund 100 Kilometer off-road auf die andere Seite der Cordillera Blanca fahren. Dafür zurück über einen wunderschönen und geteerten Pass am Huascarán vorbei, dem höchsten Berg Perus. Der Eselhirte meint, wir sollen den Pass fahren, sin problema. Andre meint das auch. Karin ist noch nicht ganz überzeugt, aber ihr Ehrgeiz ist geweckt. Wir vertagen uns auf morgen früh und steigen in die Schlafsäcke.

26.08.2019 Huascarán Loop

Im Zelt schlafen bedeutet früh aufstehen. So kommen wir in den Genuss, den Sonnenaufgang zu beobachten. Es ist eigenartig zu erleben wie die Natur uns sprachlos macht. Nicht im sprichwörtlichen Sinn, sondern wirklich. Wir sind so damit beschäftigt die Eindrücke zu verarbeiten, dass wir schweigend warten bis das Kaffeewasser warm ist und die Arepas fertig sind. Man kann auch nicht sagen: toll, gell oder guck mal da oder net schlecht. Die Berge schaffen mühelos, was alle Spas, Wellnessoasen oder Luxushotels dieser Welt nicht können. Sie sorgen für absolute Entspannung und Ausgeglichenheit. Einfach so.

Vielleicht erklärt sich Karin auch deshalb bereit, dem Rat des Eselhirten zu folgen und den “sin problema” Pass zu fahren. Gut, dass sie nicht auf dangerousroads.org nachgeschaut hat, dort steht: “This road tests the skill, and courage, of any driver. … One mistake and it’s a free fall to your death.” Naja, wie schon auf der Strasse nach Cajamarca denken wir uns, wird schon nicht so heiß gegessen wie gekocht.

Weit gefehlt. Nach der Hälfte der Strecke befinden wir uns auf einem veritablen Off-road Trail mit allem was dazu gehört. Felsen, Schotter, Sand, Abgrund. Nach dem zweiten Umfaller verlassen Karin kurzzeitig die Nerven. Aber es nützt alles nichts, denn entweder geht es jetzt 50 Kilometer off-road runter oder eben rauf. Also macht Andre was er am besten kann, er quatscht. Nämlich Karin den Berg hoch. Eine ganz neue Funktion unserer Radios. Und es ist mal wieder wie immer, oben angekommen ist die Freude groß. Über ein unvergleichliches Panorama auf 4.730m und darüber, es geschafft zu haben.

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Die Passabfahrt und die folgenden 60 off-road Kilometer im Hinterland haben es ebenfalls in sich. Andre hat auch noch seinen Umfaller und wir sind froh nach 5 Stunden Trails wieder Asphalt unter den Reifen zu haben. Wir sind nicht nur froh, sondern auch ziemlich erschöpft und müde. Aber der Tag hält noch eine weitere Überraschung bereit: den Pass zurück. Der ist so anders und so schön, dass wir ganz euphorisch werden. Nach 9 Stunden im Sattel kommen wir glücklich und zufrieden in Huaraz an und haben den spektakulärsten Motorradtag unseres Lebens hinter uns.

27.-29.08.2019 Huaraz

Wir bleiben einen Tag in Huaraz, dem Mekka der Alpinisten in Peru. Die Stadt selbst ist im Grunde häßlich und hat wenig zu bieten, da sie bei einem Erdbeben nahezu komplett zerstört und neu aufgebaut wurde. Sie dient als Ausgangspunkt für Wanderer und Bergsteiger aus aller Welt, was ihr wenigstens ein paar Organic Coffeeshops und einen Hauch von Hipstertum beschert.

Da wir die Landschaft noch genießen wollen, ziehen wir für zwei Tage in ein auenlandähnliches Hotel oberhalb der Stadt. Dort lassen wir die letzten Tage Revue passieren, wandern ein bisschen und bereiten uns moralisch auf die Großstadthektik von Lima vor.