Medellín

03.07. – 05.07.2019 Medellín – La Candelaria

Man kann Urlaub vom Reisen machen. Das war uns neu. Nach drei Monaten verspüren wir das dringende Bedürfnis nach ein bisschen Nichtstun. Die Eindrücke der Reise und die bereits 14.000 gefahrenen Kilometer durch den nordamerikanischen Kontinent wollen verdaut werden.

Unser nächster Halt in Medellín ist dafür wie geschaffen, aber der Reihe nach.

Zunächst nehmen wir uns ein Hostel im Norden von Medellín, genauer in der Communa La Candelaria. Dort soll man nachts nicht vor die Türe gehen. Wir machen es trotzdem und genießen es, uns im Strom der Menschen über Märkte, Plätze und durch Straßen treiben zu lassen. Und wir lernen Arepas kennen und lieben, eine erste ernsthafte Konkurrenz für Tacos. Als nächstes wollen wir zur Bibliotheca España. Die architektonisch interessante Bibliothek wurde von der spanischen Regierung finanziert und soll die trostlose Situation in der Communa 1 verbessern. Mit Büchern gegen die Tristesse. Eine schöne Idee. Wir quetschen uns in die Metro und nehmen die Seilbahn hinauf, die ebenfalls zur Erhöhung der Lebensqualität der der Communa errichtet wurde und tatsächlich ein sehr erfolgreiches Projekt ist. Oben angekommen, erfahren wir, dass die Bibliothek wegen Baumängel auf Jahre hinaus geschlossen bleibt. Die Kultur hats eben auch in Medellín nicht leicht.
Die Communa 1 ist heute noch ein extrem gefährliches Pflaster und so ganz koscher ist es in der Dunkelheit nicht. Dennoch schlägt unser Gefahrendetektor kaum aus und so genehmigen wir uns ein Bier, genießen die Aussicht auf Medellín und beobachten das Treiben im nächtlichen Santo Domingo Savio.

05.07. – 15.07.2019 Medellín – El Poblado

Uns gefällt Medellín immer besser und wir entschließen uns, hier einen längeren Stop einzulegen. Dazu suchen wir uns für 10 Tage ein Apartment im Stadtteil El Poblado und staunen nicht schlecht als wir ankommen. Hier herrscht ein total anderes Flair. Ein bisschen wie Berlin mit gutem Wetter und weniger Hipstern. Überall Bars, Restaurants und Streetfood. Was El Poblado besonders macht, ist das üppige Grün und das Leben draußen. Das ganze Jahr 25 Grad. Wer braucht da noch Fenster oder Wände. Genau, niemand. Zusammen mit den lässigen Kolumbianern und dem großartigem Essen ist das Lebensqualität pur. Das haben auch schon andere bemerkt und wir treffen hier soviel Hängengebliebene wie nirgends sonst. Auf jeden Fall freuen wir uns auf 10 Tage Seele baumeln lassen.

Damit das mit dem Seele baumeln lassen nicht in Lethargie ausartet, melden wir uns in einer Spanischschule an und haben damit wieder ein bisschen Arbeitsalltag. Erster Termin, ähh, erste Stunde um 9 Uhr.

Und noch zwei Aufgaben stehen in unserem Hausaufgabenheft. Erstens wollen wir Karins Fuß röntgen lassen um zu schauen, ob er verheilt und wir brauchen neue Reifen für unsere Motorräder. Das Glück ist auf unserer Seite, denn der kolumbianische Doktor gibt grünes Licht fürs Weiterfahren und der BMW Laden in Medellín kann problemlos unsere lieb gewonnenen Heidenau Reifen besorgen. Man glaubt gar nicht wie schwierig das Reifen Thema hier ist. Kein Wunder, die fahren alle nur 100ccm Hupfer.

So, also Dienstag Hospital, Mittwoch Reifen und am Donnerstag? In Medellín? Na klar, da wollen wir die Story von Pablo Escobar unter die Lupe nehmen. Schließlich war das hier zu Zeiten des Medellín Kartells die gefährlichste Stadt der Welt. Und er war der Boss.

Dass Señor Escobar kein Kind von Traurigkeit war, hatten wir uns schon gedacht. Aber mein lieber Freund und Kupferstecher, der Typ hatte echt n Hau. Ich meine, was macht man mit seinem Architekten wenn der erste Stock nicht passt? Klar, erschießen. Oder wenn die Geliebte schwanger wird? Na? Logo, auch erschießen. Und wenn man ins Gefängnis muss? Nun ja, dann baut man sich eines und nimmt dem Staat gleich das lästige Problem mit der Wachmannschaft ab, indem man seine eigene mitbringt.
Wir besuchen seinen Country Club alias Gefängnis mit Hubschrauberlandeplatz und müssen zugeben, der Blick auf die Stadt ist sensationell.

11.07.2019 Medellín – Communa 13

Aber nicht nur das Medellín Kartell hat sein Unwesen in der Stadt getrieben, die Einwohner Medellíns mussten auch unter den Kämpfen zwischen Farc, ELN, Paramilitärs und Armee leiden. Und das ganz besonders in der Communa 13. Dort herrschte ein jahrelanger und blutiger Krieg um die Vorherrschaft. Hier musste man das Wort No-go-Area wörtlich nehmen, selbst wenn man nur aus einer anderen Communa stammte.

2002 besetzte die kolumbianische Armee in der Operation Orión das Viertel und beendete die Kontrolle der Guerillas. Seitdem herrschen die Paramilitärs, die sich zuvor mit der Armee verbündet hatten. Dieses traurige Kapitel ist bis heute kompliziert und unser Eindruck ist, dass selbst die Medellíner es nicht so genau verstehen oder wissen wollen. Sie sind die Geiseln der Machtkämpfe und viele unschuldige Menschen verschwinden oder sterben.

Momentan hält der mühsam erreichte Frieden zwischen allen Parteien und die Einwohner der Communa 13 verarbeiten ihr Leid in berührenden Graffitos. Ebenso berührend wie der soziale Zusammenhalt, den man allerorts sieht. Ältere Jungs geben den Kleinen Breakdance Unterricht, die Wohlhabenderen kaufen Süßigkeiten oder stecken den Bettlern etwas Geld zu und selbst der Staat beschäftigt die Bewohner für die Bauprojekte. Die sind übrigens beachtlich und tragen einen großen Teil zum friedlichen Miteinander bei. Besonders faszinierend sind die Freiluftrolltreppen, die das Viertel durchziehen und den Menschen den Aufstieg erleichtern.

“After years of intense violence, aerosol cans have replaced guns.”

Das ist doch mal eine gute Nachricht und so können wir heute halbwegs gefahrlos dieses Viertel erkunden, das dabei ist, den Sprung in eine friedliche Zukunft zu schaffen.

Ein bisschen genießen wir noch den Alltag in El Poblado. Nach zwei Wochen fühlt es sich beinahe so an, als ob wir hier wohnen würden. Keine schlechte Vorstellung ehrlich gesagt. Wir lernen fleißig Vokabeln, den Unterschied zwischen ser und estar, faulenzen, bloggen, schauen uns die nächsten Reiseziele an, überlegen uns ob wir auf die Galapagos Inseln fliegen sollen und es vergeht die Zeit bis zum letzten Schultag wie im Flug. Wir verabschieden uns von der sympathischen Truppe unserer Spanischschule und von Medellín. Ein wenig wehmütig.